Die GEGENSTANDPUNKT-Redaktion bietet die Gelegenheit zur politischen Diskussion
Jour fixe in Dortmund – Regelmäßiger Diskussionstermin
Ort: Dietrich-Keuning-Haus, Leopoldstr. 50-58 (Hbf Nordausgang), Dortmund, Raum 226
am 15. November, um 19.00 Uhr
Jeder will sie, kaum einer kriegt sie:
Gerechtigkeit – was ist das?
– Unübersehbar ist erstens, wie allgegenwärtig im ökonomischen Leben kapitalistischer Nationen die Beschwerde ist, ungerecht behandelt zu werden. Wo immer man hinschaut, sind nicht nur offensichtlich beständig Schäden zu beklagen, sondern wird Kritik daran im Namen der Gerechtigkeit geführt: Ob beim Streit über Managergehälter, die Entlohnung von Krankenschwestern oder die richtige Höhe der Renten – immer wird die Beschwerde aufgemacht, dass man nicht bekommt, was wem auch immer zusteht.
Dabei beziehen sich die Klagen keinesfalls ausschließlich auf das Feld ökonomischer Verhältnisse: Bis ins Privatleben hinein wird Beschwerde im Namen einer ungerechten Behandlung eingelegt. Es wird nicht einfach mit dem eigenen Interesse argumentiert, dass man also will, worauf sich die eigene Begierde richtet, sondern damit, dass einem zusteht, was man fordert: wegen dem, was man geleistet hat, also zurecht erwarten darf – d.h. verdient hat –, was man fordert. Ideell beansprucht und praktisch gefordert wird ein Passungsverhältnis zwischen dem, was man – in welcher Hinsicht auch immer – von sich hergibt und dem, was man – in welcher Hinsicht auch immer – von seiner Umwelt als angemessenes Entgegenkommen dafür erwarten darf.
– Unübersehbar ist zweitens, dass diese Klagen in dem Bewusstsein geführt werden, dass Gerechtigkeit doch die eigentlich übergeordnete und anerkannte Norm ist, die sich zu achten gehört, das allgemeingültige Kriterium, nach dem sich alles gesellschaftliche Treiben zu richten hätte. Und diejenigen, die die Klage der Ungerechtigkeit führen, wissen auch eine Instanz, die die Durchsetzung dieser Maxime verbindlich zu machen hätte: ihr Staat.
– Unübersehbar ist drittens, dass der Staat die Klagen seiner Bürger nicht zurückweist, schon gleich nicht als Angriff auf sich und ihre Ordnung wertet, sondern als Maßstab der Kritik anerkennt und selbst im Munde führt. Der Staat stellt tatsächlich beim Vollzug seiner Herrschaft an sich selbst den Anspruch, seinen Bürgern eine gerechte Behandlung zukommen zu lassen.
Dass die Forderung nach Gerechtigkeit ein nicht aussterbender Dauerbrenner im Verhältnis von Staat und Volk ist, hat also seinen Grund in den Verhältnissen, aus denen der immerwährende Ruf nach Gerechtigkeit erschallt: Gerechtigkeit ist dabei weder einfach eine Ideologie noch einfach die Sache, um deren Erfüllung sich die kapitalistische Gesellschaft dreht, sondern sowohl der Geist, in dem der Staat ausgerechnet bei der Unterordnung der Gesellschaft unter die Rechtsprinzipien seiner Gewalt agiert, wie das verkehrte Bewusstsein, in dem die Bürger ihre gegensätzlichen Interessen als gutes Recht praktisch immerzu verfolgen.
Warum und inwiefern die Forderung nach Gerechtigkeit zu den herrschenden Verhältnissen passt, wie die Faust aufs Auge, wollen wir auf dem Diskussionstermin erläutern.
Lesetipp:
GSP 4-15 Stichwort: Gerechtigkeit
GSP 2-16 Korrespondenz zum „Stichwort: Gerechtigkeit“