Die GEGENSTANDPUNKT-Redaktion bietet die Gelegenheit zur politischen Diskussion
Ort: Dietrich-Keuning-Haus, Raum 226, Leopoldstr. 50-58 (Hbf Nordausgang), Dortmund
Zeit: am Dienstag 17. November, 19 Uhr:
Die inneren Unkosten des ‚moralischen Imperialismus‘ der Kanzlerin und die nationalistische Ablehnung, die sie dafür kassiert
„Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“
Eben doch! Exakt dieses Land regiert Merkel seit über 10 Jahren – nach guter demokratischer Sitte mit Zustimmung ihrer Wähler. Sie soll also nicht so tun, als ob „mein Land“ und die Politik, mit der sie es machtvoll „gestaltet“, mit der Ablehnungsfront nichts zu tun haben, auf die ihr „freundliches Gesicht“deutschlandweit trifft. Sie weiß es auch besser: Täglich entschuldigt sie sich seit ihrer forschen Äußerung für das, was sie also selbst für eine Zumutung für „mein Land“ hält, das man offensichtlich nicht so leicht lieben kann ohne Missgunst gegenüber Fremden. Die Gründe dafür kennt sie nicht nur – gemeinhin ist sie auf die auch sehr stolz. Sie sind nämlich ihr Werk:
Sie hat ihr Land kompromisslos und erfolgreich auf den Anspruch getrimmt, einen ganzen Kontinent ökonomisch und politisch anzuführen und auf dieser Basis in der ersten Liga der Weltmächte mitzuspielen. Dem sind unter ihrer Führung alle Lebensverhältnisse unterworfen worden – mit den bekannten Resultaten, zu denen u.a. gehört, dass die staatliche Festlegung eines Mindestlohns als soziale Wohltat gefeiert wird, weil das Ergattern irgendeines sozialversicherungsträchtigen Tariflohn-Jobs inzwischen als Inbegriff eines seltenen Glücks gilt; dass die Aussicht auf einen finanziell abgesicherten Lebensabend als Traum vergangener Generationen ad acta gelegt ist; dass die zunehmende Not ihres vollbeschäftigten Volkes, sich irgendeine bezahlbare Wohnung leisten zu können, zum Dauerbrenner aller Wahlkämpfe wird; dass die Drangsal von Eltern mit zwei bis drei Jobs, ihre Kinder irgendwo abzustellen, den Staat zur Formulierung eines Rechts auf einen Kita-Platz nötigt…
Aber nicht nur die Leistung, ihre lieben Deutschen systematisch in eine immer gnadenlosere Konkurrenz um immer härtere Lebens- und Arbeitsbedingungen gehetzt zu haben, darf sich die Kanzlerin zurechnen. Auch für die Erziehung dieses Volks von erbitterten Konkurrenten zu einem Haufen von Nationalisten, die allen anderen noch viel weniger gönnen als sich untereinander, hat sie viel getan: Spätestens seit der Euro-Krise hetzt sie die Deutschen permanent dazu auf, sich die erzwungenen Glanzleistungen in Sachen Arbeiten, Verzichten, Sparen als das Recht auf ein deutsches Regiment über den Rest der europäischen Staaten einzubilden, also die imperialistische Führungsrolle der Nation als Überlegenheit ihrer tugendhaften Herrenmenschen über die minderwertigen europäischen Völker abzufeiern Diese Kanzlerin soll jetzt nicht so tun, als ob sie sich darüber wundert, dass ihr Volk sich nun auch gegenüber den Flüchtlingen genauso aufführt, wie es gute deutsche Sitte ist: sie als Konkurrenten um schlecht bezahlte Arbeit und kaum bezahlbare Wohnungen beargwöhnt und als unerträgliche Fremdkörper im nationalen Herrenkollektiv verachtet.
In Deutschland 2015 haben Nationalstolz und sein Zwilling, der Ausländerhass, keinen Platz? Ein schlechter Witz. Für Flüchtlingsfreunde sollte die staatliche Willkommenskultur also kein Grund sein, „Mama Merkel“ gut zu finden, nur weil ihnen das Gros „besorgter deutscher Patrioten“ aktuell noch ganz anders Angst macht als die Politik ihrer Chefin. Denn nur im Vergleich zu dieser gegen die neuen Fremden nationalistisch aufgehetzten Meute von Konkurrenten ist Merkels „Gesicht“ überhaupt so etwas wie „freundlich“ – und billig zu haben obendrein. Als ihre moralische Haltung besteht es nämlich bloß darin, die herrenmäßige Verachtung fremder Elendsgestalten in die von der gleichen herrenmäßigen Warte aus gefühlte mitleidige Herablassung gegenüber diesen Elenden umzupolen. Und als ihre praktische Politik ist es erst recht alles andere als einfach nur „freundlich“: Unübersehbar geht „das freundliche Gesicht“ mit dem Auftrumpfen der deutschen Macht in und über Europa einher, die an den Flüchtlingen den unerbittlichen Willen vorführt, die Agenda zu definieren, um die sich Europa- und Weltpolitik gefälligst zu drehen haben.
Von wegen also, die Republik ließe in der Notsituation von ihrem Nationalismus und ihrem Imperialismus nur einen Deut ab: Auch mit ein paar Hunderttausend Flüchtlingen soll in diesem geilen Land möglichst alles so bleiben, wie es war – ein Land, mit dem man weltweit Staat machen kann.
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Der Schwerpunkt des heutigen Termins soll auf der innenpolitischen Kontroverse liegen, an der das Volk Anteil nehmen soll: „Wir schaffen das!“ versus „Hat Merkel die Lage noch im Griff?“; „verkraften“ wir die unbestellte Last oder „ist der Nutzen größer als die Kosten?“ Für wen denn? Was ist denn eigentlich in Gefahr, wenn eine Million Flüchtlinge hierher kommen und bleiben: Mein Arbeitsplatz, billiger Wohnraum, Schäubles Haushalt, der innere Frieden, unsere Heimat? Alles hängt daran, heißt es auf beiden Seiten der Debatte, ob die Flüchtlinge „integriert“ werden: Wohinein denn eigentlich?